Besonderheiten an Sitten und Gebräuchen

Einführung
Befassen wir uns mit den Besonderheiten des Sewerischen, so könnten wir uns tagelang über verschiedenste Sitten und Gebräuche unterhalten. Bleiben wir daher bei den lokalen Gegebenheiten.
Zunächst betrachten wir die vielfach erwähnten und mittlerweile fast allseits bekannten "Asker Batzen", wenden uns anschließend zwei im Ask'schen beliebten Speisen, den "Askermännern" und den "Niveckes" zu, bevor wir ein heikleres Thema ansprechen: Die Hochzeitsbräuche, um genau zu sein die "Asker Brautwerbung" nämlich.

Asker Batzen
Volksbrauch und begehrtes Produkt lokalen Kunsthandwerks

"Wer im Phexmond in die Ländereien um Norburg reist, dem wird ein reger Tauschhandel mit dünnen Scheiben jungen Holzes auffallen, die auf verschiedene Arten verziert sind. Seltener werden ihm geschliffene Plättchen aus Horn begegnen, doch auch diese zählen zu den ‘Asker Batzen’. Über das ganze Jahr hinweg sind Männer, Frauen und Kinder in ihrer wenigen Freizeit mit der Auswahl geeigneter Rohmaterialien und deren Bearbeitung beschäftigt. In liebevoller Handarbeit werden die Rohlinge beschnitzt, bemalt oder bebrannt.
Zu Beginn des Phexmondes, wenn der Gott des Handels besonders milde wacht, werden im gesamten Umland die kleinen Kunstwerke Nachbarn, Freunden, Besuchern und auch fremden Reisenden vorgestellt. Zum einen stellen die zierlichen Scheiben beliebte Geschenke dar. Doch auch anders versucht man die begehrten Objekte zu erlangen: Ein fieberhafter Tauschhandel entsteht, um in der kurzen Zeit des Phexmondes die schönsten Stücke zu erhaschen. Wer könnte es den Armen verdenken, daß sie ihre Prunkstücke auch gerne einmal gegen klingende Münze eintauschen? Natürlich wollen auch Händler aus der Ferne ihren Anteil erwerben – und der Wert der ‘Asker Batzen’ ermißt sich ganz an der Güte von Material und Bearbeitung: eine kunstvoll beschnitzte Hornscheibe mit dem Konterfei einer holden Maid mag mehrere Batzen erbringen, während die ersten Versuche eines Kindes, die auf Vorder- und Rückseite eines Holzscheibchens einige Striche zeigen, vielleicht für nur wenige Deut den Besitzer wechseln.
Im Besitz der Bronnjaren von Ask befindet sich übrigens eine Sammlung ‘Asker Batzen’ aus über einem Jahrhundert. Einige Exemplare daraus sind gar kunstvoll aus Edelsteinen geschnitten, und ihr Wert mag Hunderte von Batzen betragen."

Reisetagebuch der Rondrageweihten Kindra Jorgensen
1017 BF

Tatsächlich ist in den Gegenden um Ask der Tauschhandel mit jenen selbstverfertigten "Münzen" gang und gäbe, wobei natürlich im Normalfall keine Waren für die "Asker Batzen" erworben werden können, sondern die Scheibchen selbst die begehrten Sammel- und Tauschobjekte darstellen. Für die Kinder ist es ein Spiel, für Erwachsene ein Zeitvertreib – und für den unwissenden Reisenden ein großes Ärgernis, zumindest, wenn ihm ein findiger Wechsler einige der wirklich wertlosen Scheiben als klingende Münze untergeschoben hat. Denn ähnlich wie die im Süden des Bornlands bekannten "Festumer Florin" stellen auch die "Asker Batzen" keine gültige Währung dar, wenngleich die wertvolleren Stücke sogar als Gastgeschenke im In- und Ausland beliebt sind.
Berühmtheit haben die kleinen Scheibchen dennoch erlangt – wenngleich eher traurige, wird doch der Begriff "Asker Batzen" fast überall im bekannten Aventurien als Synonym für wertloses Zeug benutzt, selbst wenn dies strenggenommen in einigen Fällen eben nicht ganz zutrifft.

Askermänner
Eine nordsewerische Spezialität

Das Bornland, oft verschrien für ungehobelte Sitten, kann im Bereich der guten Küche mit vielerlei Spezialitäten aufwarten. Ja man kann sagen, die feine Küche sei die größte Errungenschaft der Zivilisation im Bornland. Mit den Tischsitten verhält es sich ähnlich – es ist schon ein gutes Maß an Übung notwendig, eine "Rolle Festumer Art" derart anzuschneiden, daß die enthaltene flüssige Butter zielstrebig über die Kartoffeln läuft – und nicht dem Nebenmann in den Ärmel (diese Peinlichkeit erlaubte sich einst eine junge halbelfische Besucherin auf Burg Ask, Sheydan Anoriel Elftochter, Adeptin aus Kunchom; Opfer ihrer Ungeschicklichkeit war niemand anders als Seine Spektabilität Magister Allonar Hombar, Jagdmarschall im arkanen Zirkel des Ordens der Jagd, der die Angelegenheit jedoch – zum Glück für die Adeptin – von der humorvollen Seite sah). Sicherlich gibt es auch weniger kultivierte Tischsitten, wie zum Beispiel das von Baron Ugo Damian von Eschenfurt so geliebte "Sillinger Kuchenwerfen" – eine grobere Abart des berühmten "Arivorer Kuchenfassens":
Bei letzterem erheben sich die bei Tisch befindlichen Gäste der Reihenfolge nach, beginnend mit den niedersten und endend mit den nobelsten, um sich ihren Kuchen am Platze des Gastgebers abzuholen. Bei der bornischen Variante gilt die gleiche Reihenfolge, jedoch erhalten die Gäste ihren Kuchen erheblich schneller…
Wie dem auch sei, alles in allem kann das Bornland durchaus mit Tischmanieren glänzen, und die bornische Küche ist berühmt für ihren Einfallsreichtum angesichts der vergleichsweise schlechten Versorgungslage. Neben der erwähnten "Festumer Rolle" seien da noch die beliebten "Gnitzen mit Würzdonf" zu nennen, spannlange gefüllte Fischchen, fernerhin Braten in Teigmantel oder andere, eher bodenständige Gerichte. Spezialitäten gibt es in bornischen Küchen also durchaus, auch wenn sie eher nur im Inland bekannt sind. Im Mittelreich hat man höchstens einmal von "Plötzinger Dotzen" oder "Ruckener Dickbalken" gehört; diese Leckereien sind allerdings derart begehrt, daß niemand bereit ist ein Rezept herauszurücken. Selbst der Baron von Cres, Danilo Caer Donn, versuchte schon vergeblich, wenigstens Ansätze einer Herstellungsbeschreibung zu erfahren. Wir jedoch wollen ein typisch sewerisches Rezept, nämlich das für "Askermänner" veröffentlichen:

Ingredienzen:
Eine Unze Hefe, wohl ein Schank euterwarme Kuhmilch, zweiundzwanzig Unzen Mehl vom Weizen, gute drei Unzen Rübzucker, ein Unze gestoßen Karamel, den bittern Saft zweier gequetschter Kirschkerne, eine Prise Salz, das Weiße eines Eies vom Huhn, gut zwei Unzen Butter, vier groß Löffel Rapsöl (oder im äußersten Notfall Praiosblumenöl), vier Unzen Rosinen, ferner das Gelbe eines Eies vom Huhn verquirlet mit ein klein Löffel Milch zum Bestreichen.
Procedere:
Die Hefe und ein klein Löffel Rübzuckers rühr mit fünf groß Löffeln von der euterwarmen Milch an. Passier das meiste Mehl fein sorgsam in ein Schüssel, wo da fassen mag auch den ganzen Rest der Zuthaten, druck in die Mitt ein Loch und gib darein den Hefebrei. Streu dann reichlich Mehl hierüber. Verrühr den Rest Rübzucker, den Karamel, den bittern Kirschkernsaft, das Salz und das Öl und halt's bereit auf den Moment, wo es hinzu gegeben werden mag. Dies ist allsoweit, wenn das Mehl über dem Hefebrei beginnet Risse zu treiben. Nun rühr die bereitgehaltenen Gewürze hinzu und gib auch der übrigen Milch Rest hinzu. Prügel den Teig, auf daß er Blasen werfe. Nun knet das restliche Mehl herzu und die Rosinen, welche vorher sauber zu waschen sein. Klebet der Teig noch an den Fingern, so wasch die Finger und gib mehr Mehl in den Teig. Laß nun den Teig am warmen Orte sich wohl vermehren, bis daß er wohl die doppelte Menge ist. Knet's wiederum gut durch und form daraus wohl putzig Männlein, welche du flach auf ein Stein oder ein gefettet Blech pressest. Acht wohl drauf, daß das einzeln Männlein nicht zu klein werd, denn die Form verlaufet im Herdfeuer. Wohl an die zwei Spann ist recht bemessen. Das Männlein bestreichest Du gut mit verquirleter Eigelbmilch. Wart noch ein Weil und back dann ein halbe Stund nicht zu hitzig, aber auch nit zu lau. Wenn du magst, druck vor dem Backen noch ein paar Rosinen für Augen, Nas und Mund in das Köpflein, oder verzier das Männlein noch mit Rosinenschmuck. Probatum est. Hüt dich aber davor, ein Männlein über Nachten liegen zu lassen, denn es mag sich wohl vom Stein oder Bleche erheben und hinfort eilen.

Niveckes
Eine nivesische Süßspeise

Ein weiteres Rezept wollen wir ebenfalls an dieser Stelle dem geneigten Leser nicht vorenthalten. Es handelt sich hierbei um eine beliebte Speise, welche im Anschluß an größere Festessen gereicht wird. Für die Nivesen eher ein Festtagsgericht, hat es an den Bronnjarenhöfen als zusätzlicher Gang bei ihren Gelagen Einzug gehalten.

Ingredienzen:
An die zwei Hand frisches Weizenbrot wohl ohne Rinden, der Huhnseier dreie, frisch vom Markte, 1 Schank Kuhmilch oder mehr, 3 Unzen Fett, ein wenig Rübzucker, 4 Unzen getrocknete Beeren vom Weinstocke, die geriebene Schale eines halben Perain-Apfels, 2 bittre und 1 Dotzend süße Mandelen, und zuguterletzt nicht wenig guts Bier.
Procedere:
Schütt die Milch und alsoviel von dem Biere in einen Topf, als wie es dir beliebt. Dann tu das Brot unter in jenem Gemeng und lass es liegen. Bald danach tu es in eine Pfann, wo das Fett darin zerlaufen ist und lass es braten auf mittlerer Flamm. Alsdann tust du's raus und läßt es kühle werden. Dann tu das Gelbe von den Eiern eins nach dem andern dazu, und wohl den Rest der Ingredienzen auch bis auf den klaren Eisaft, welchen du zuvor zu Schaum rühren müssest. Mach dann beide Mixturen zueinander. Den verbleibenden Brei tu in eine Form und laß es eine Stund im Ofen hitzig braten. Den Niveckes laß dann kälten, stülp ihn um und trag's auf auf einem großen Teller. Gib's aber nit den Kindern, da die davon wohl schwindlig werden im Kopf, und manch Anderer auch.

Asker Brautwerbung
Eine nur wenig bekannte Sitte

Hält man sich im Ask'schen auf, so kann man bisweilen Zeuge eines seltsamen Ritus werden, der offensichtlich im Volk ebenso gepflegt wird, wie in höchsten Adelskreisen. Der überraschte Beobachter erblickt urplötzlich – zumeist früh des Morgens, manchmal noch vor dem ersten Hahnenschrei, ein junges Paar, beide bar jeglicher Kleidung, welche stürmischen Schrittes ein Haus verlassen. Oftmals sogar trägt der Mann seine Begleiterin auf den Armen, und bisweilen ist zumindest ihm noch anzusehen, was die zwei unmittelbar zuvor mit ihrer Nachtruhe angefangen haben dürften …
Kaum im Freien angekommen, erheben beide ein lautes Geschrei, welches alsbald die übrigen Bewohner des Hauses, sowie die Nachbarschaft aus ihren Betten reißt. Doch nicht, daß die so in ihrer Ruhe Gestörten darob verärgert wären – nein, im Gegenteil: Eilends kommen sie auf die Straßen gelaufen, begierig, das nun folgende Schauspiel mit anzusehen. Und dieses vollzieht sich auf die im Folgenden beschriebene Weise: Das unbekleidete Paar präsentiert sich zunächst den schaulustigen Augenzeugen, wobei der Mann lauthals verkündet, daß er im Vollbesitz seiner geistigen und – darauf wird Wert gelegt - körperlichen Fähigkeiten die ihn Begleitende zur Frau zu nehmen gedenkt. Beide bestätigen durch entsprechende Kundgebungen, daß sie zu ihrer beider Zufriedenheit die auf sie zukommenden Verpflichtungen eines Traviabundes in selbiger Nacht geprobt hätten, woraufhin der Mann die Frau in eine Schneewehe – oder sollte ausnahmsweise kein Schnee zu finden sein in einen Bach, Teich, oder einfach eine Pfütze – wirft. Ab diesem Zeitpunkt herrscht bei den Umstehenden erwartungsvolles Schweigen … denn nun ist es an der Auserwählten, ihren Werber zu erhören – oder auch nicht. Bleibt sie unbeeindruckt, so trollen sich die Umstehenden alsbald enttäuscht von dannen, denn in diesem Fall hat sie ihren Geliebten verschmäht. Zieht sie ihn jedoch flugs zu sich in den Schnee, so brechen Beifallsstürme aus, denn dies bedeutet ihr Ja-Wort. Eilig werden den beiden alsdann Decken oder Umhänge gereicht, und sie werden in einem Triumphzug zurück in ihre Behausung geleitet, denn nun ist Feierstimmung angesagt!
So sind die Sitten im rauhen Norden Seweriens, doch das Bad im eisigen Schnee oder Wasser stellt für die Bornischen nichts Anderes dar, als den Beweis von Kraft, Unerschrockenheit, von Opferbereitschaft und Hingabe. Denn dies sind die Tugenden, welche hierzulande geschätzt werden.